19. DVGW Forum Wasseraufbereitung
Das 19. DVGW-Forum Wasseraufbereitung, welches alljährlich vom DIN/DVGW-Ausschuss „Wasseraufbereitungsverfahren“ organisiert wird, fand am 30. November 2021 unter 2G+ Bedingungen in der Stadthalle in Mülheim an der Ruhr statt. Fachleute aus dem Bereich Trinkwasser konnten sich hier endlich einmal wieder persönlich zu aktuell brennenden Themen austauschen und über aktuelle Forschungsprojekte und Regelwerksaktivitäten des DVGW informieren. Die über 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Wasserversorgungsunternehmen, Forschungsinstitutionen, von Planungsbüros, aus Behörden und von Industriepartner-Firmen diskutierten angeregt über aktuelle Entwicklungen und praxisrelevante Fragestellungen.
Das breite Themenspektrum der diesjährigen Veranstaltung umfasste die Aufbereitungsverfahren Entsalzung/Entcarbonisierung, Verfahrensvarianten sowohl zur Entfärbung als auch der Schnellentcarbonisierung, qualitative Aspekte der Aktivkohle, aber auch die wirkungsbezogene Analytik (Tox-Tests), mikrobiologisches Monitoring, Energieeffizienz sowie Fragestellungen zum Wasserverteilungssystem.
Das interessante Forschungsvorhaben „Kontrisol“, in dem es um Konzentrate geht, die beim Einsatz der Membranverfahren Nanofiltration und Umkehrsosmose in der Trinkwasseraufbereitung entstehen, wurde von Anja Rohn (IWW) vorgestellt. Die Konzentrate müssen derzeit i.d.R. in Gewässer eingeleitet werden, was von den zuständigen Behörden zunehmend kritisch gesehen wird, insbesondere dann, wenn naturfremde Substanzen, wie z.B. Antiscalants enthalten sind. In Kontrisol werden deshalb Lösungen zu Reduzierung/Vermeidung/Ersatz von Antiscalants erarbeitet und verfahrenstechnische Lösungen zur Konzentratbehandlung untersucht. Weiterhin werden umfangreiche toxikologische Analysen durchgeführt, die von Dr. Sabrina Schiwy (Goethe-Universität Frankfurt) präsentiert wurden. Sie erklärte anschaulich die entwickelten Bewertungsmethoden und deren Anwendung auf Antiscalants und Konzentrate.
Ein weiteres sehr aktuelles Thema ist die Entfernung von per- und polyfluorierten Alkylverbindungen (PFAS) aus dem Rohwasser, vor dem Hintergrund der Einführung zweier neuer Trinkwassergrenzwerte (Konzentrationssummen von 20 PFAS und von 4 PFAS) bis 2023. Dr. Brigitte Haist-Gulde vom TZW Karlsruhe hat die Ergebnisse einer Bestandsaufnahme zur Betroffenheit der deutschen Trinkwasserversorgung vorgestellt. Demnach können bisherige Zielwerte (GOW, Leitwerte) in den meisten Fällen gut durch den Einsatz der Aktivkohlefiltration erreicht werden. Durch die Einführung der neuen Grenzwerte würde sich das ändern. Insbesondere der aktuell diskutierte EFSA-Grenzwert für die Konzentrationssumme von PFHxS, PFOS, PFOA, PFNA liegt mit 2,2 ng/L um Größenordnungen kleiner, so dass er in vielen Wasserwerken nur mit sehr großem technischen Aufwand und hohen Kosten unterschritten werden könnte.
In einem zweiten Vortrag berichtete Dr. Brigitte Haist-Gulde über die Freisetzung von Aluminium und Spurenmetallen bei Inbetriebnahme von Aktivkohlefiltern. Die geplante Festlegung eines Grenzwertes für Aluminium in der Produktnorm wurde kritisch diskutiert und die Notwendigkeit einer Modifikation der Testmethode für wasserextrahierbare Substanzen gut begründet.
Um Aktivkohle ging es auch im Vortrag von Thomas Lucke (Zweckverband Landeswasserversorgung). Er stellte die Idee einer brancheninternen Aktivkohleverwendung vor, bei der es um die Verwertung von gebrauchter Kornaktivkohle (GAK) direkt im Wasserwerk geht. Die GAK wird dafür nach ihrem Einsatz in einem Filter zu Pulveraktivkohle (PAK) vermahlen und am Anfang der Aufbereitungskette bei der Sedimentation zur Spurenstoffentfernung aus dem als Rohwasser verwendeten Donauwasser erneut eingesetzt. Damit kann die Aufnahmekapazität der Aktivkohle, die nach dem ersten Einsatz bei weitem noch nicht erschöpft ist, bestmöglich ausgenutzt und Ressourcen gespart werden. Zudem wird die dem Rohwasser insgesamt entnommene Fracht an organischen Spurenstoffen deutlich erhöht.
Interessante Ergebnisse aus verfahrenstechnischen bzw. energetischen Analysen in Wasserwerken wurden von Stefan Hahn und Anil Gaba aus dem IWW vorgestellt. Herr Hahn (IWW) präsentierte einen Praxisvergleich der Leistung von verschiedenen Schnellentcarbonisierungsreaktoren. Es wurden acht Anlagen mit einer Aufbereitungskapazität von 1,5 bis 7,5 Mio. m3 pro Jahr unter die Lupe genommen und wesentliche Einflussfaktoren (Geometrie, Aufbereitungsstoffe, Betriebsweise) auf deren Leistung identifiziert sowie Optimierungspotentiale aufgezeigt. Alle untersuchten Anlagen werden mit einem guten bis sehr guten Ergebnis betrieben.
Die Energieeffizienz von Wasserwerken mit ihrer gesamten Aufbereitungskette war das Thema von Anil Gaba, der an einem Praxisbeispiel zur Enteisenung/Entmanganung zeigte, welche Einsparpotentiale hierbei gehoben werden können. Auf Basis einer systematischen Energieverbrauchsanalyse werden Unstimmigkeiten im Prozess sichtbar (Auswirkung von Inkrustation; falsch dimensionierte Anlagenteile, Pumpenbetrieb weit ab vom Optimum etc.), die zu erheblichen Mehrkosten führen können. Eine solche Analyse lohnt sich sicher für jeden Wasserversorger.
Die Gesamtheit an Wasserinhaltsstoffen, mit deren Zielvorgaben die Trinkwasseraufbereitung konfrontiert wird, verändert und erweitert sich stetig. Ein neuer Überwachungsansatz mit wirkungsbezogener und Non-Target-Analytik verspricht hier viele Vorteile. Dieses Ziel wird im Forschungsvorhaben WBA-BeReit verfolgt, welches von Markus Flörs vom Zweckverband Landeswasserversorgung vorgestellt wurde. Mit diesem Monitoringinstrument könnte zukünftig die Wirkung von Aufbereitungsprozessen umfassend beschrieben und bewertet werden.
Eine weiteres innovatives Monitoringverfahren für die Gesamtzellzahl und Intaktzellzahl an Bakterien (inkl. ihres Nucleinsäure-Status) in nahezu Echtzeit entlang der Verfahrensketten bietet die Durchflusszytometrie. David Warschke von der Gelsenwasser AG und Dr. Martin Mackowiak von der Westfälischen Wasser- und Umweltanalytik GmbH haben die Vorteile und Anwendungsmöglichkeiten dieses Verfahrens (Entfernungsleistung bei Filtrationsverfahren, Veränderungen in Abhängigkeit des Anlagendurchsatzes bzw. der daraus resultierenden Verweilzeiten in Verfahrensstufen) anschaulich erklärt. Bei der Überarbeitung des DVGW-Arbeitsblattes W 213-6 „Filtrationsverfahren zur Partikelentfernung – Überwachung (…)“ wurde es soeben in dessen informativen Teil aufgenommen.
Als weiteres DVWG-Arbeitsblatt wird das W 216 aktuell überarbeitet, was Anlass bietet, sich mit dessen langer Genese detaillierter zu befassen: Das darin beschriebene Konzept zur Bewertung der Mischbarkeit von Wässern aus den 80er Jahren ist nach wie vor richtig, jedoch sehr konservativ ausgelegt, wie Dr. Sebastian Hesse vom TZW Karlsruhe erklärte. Die neuen Erkenntnisse aus einem dazu durchgeführten Forschungsvorhaben ergaben u.a. für einige Parameter größere Spielräume und werden in das Update einfließen.
Auch die Zustandsbewertung sowie Instandsetzungsstrategien für Asbestzementrohre in den Wasserverteilungssystemen treiben viele Versorger um und wurden in einem Forschungsprojekt umfassend untersucht. Timo Jentzsch (IWW) präsentierte die Ergebnisse dazu und erklärte, von welchen Faktoren Zustand und Zustandsverschlechterungsprozess abhängig sind. Besonders interessant hierbei war u.a., dass die Nutzungsdauer von Asbestzementrohren insbesondere bei größeren Querschnitten häufig länger ist, als bisher vermutet.